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Schätze im Kornfeld
Eine Reise in die ökologische Getreidezüchtung
Nach acht Stunden klimatisierter Bahnfahrt schwappt mir am Bahnsteig in Zürich Luft entgegen, die zu diesem Zeitpunkt im Jahr eher im Süden Spaniens als am Schweizer Zürichsee zu erwarten gewesen wäre - Nicht nur am Zürichsee ist es heiß, sondern in ganz Europa greift die Hitze nach neuen Rekorden: höchste gemessene Temperaturen Ende Juni, trockenstes nachgewiesenes Frühjahr an einigen Orten und sinkende Grundwasserspiegel. Und auch hier werden die Temperaturen in den kommenden Tagen selten unter 30 Grad wandern.
Für mich bringen diese Tage neben der Hitze vor allem neue und inspirierende Eindrücke. Ich verlasse den Schreibtisch, um einen direkten Einblick in die Arbeit der ökologischen Getreidezüchter*innen zu bekommen – nämlich bei der Getreidezüchtung Peter Kunz (GZPK), eine ökologisch arbeitende, Schweizer Getreidezüchtungsinitiative, die bereits über viele Jahre hinweg vom Saatgutfonds unterstützt wird.
Mein Aufenthalt fällt genau in eine freudige und gleichzeitig besonders herausfordernde Zeit: die Ernte beginnt. Und das nicht, wie üblich lediglich fürs Getreide. Nein, die Hitze und Trockenheit haben dazu geführt, dass die Leguminosen seit langem einmal wieder gleichzeitig mit dem Getreide erntereif sind. Es muss also doppelt geplant, koordiniert und gearbeitet werden – eine der vielen Herausforderungen, die die Arbeit der Züchter*innen mit sich bringt.
Ich habe Glück und darf an meinem ersten Praktikumstag Felix Jähne bei der Handernte des Emmers zur Hand gehen. Felix bearbeitet diese alte und spannende Getreideart nun seit etwa vier Jahren – mit dem Ziel, aus diesem schmackhaften Getreide Sorten zu entwickeln, die robust gegen Krankheiten, standhaft und von guter Eignung für die Pastaherstellung sind. Die große Varianz an Farben und Formen, die sich hier im Zuchtgarten befindet, ist überwältigend. Parzelle neben Parzelle mit den verschiedensten Emmerlinien, in den verschiedensten Farben, Höhen und Formen steht hier nebeneinander. Es gibt begrannte, nicht begrannte, helle, dunkle, fast schwarze Ähren. Es gibt so hohe Pflanzen, dass sie mich überragen und kurze, bei denen es kaum Stroh gibt. Und das alles ist Emmer. Linien, die vielversprechend sind, die als zukünftige Kreuzungspartner in Frage kommen oder zur Erhaltung geprüft und wieder ausgesät werden sollen, ernten wir von Hand. Felix markiert die entsprechenden Reihen, diese schneiden wir und binden sie zu Sträußen für die weitere Prüfung.
Was so eine Prüfung u.a. bedeutet, zeigt mir Christine Scheiner im Labor. Bevor eine neu entwickelte Sorte zur offiziellen Prüfung angemeldet wird, können in den Räumen der GZPK erste Parameter erhoben werden. Christine kann hier den Proteingehalt von Körnern messen, der für die spätere Anerkennung als Nahrungspflanze von großer Wichtigkeit ist. Außerdem werden die Klebergehalte gemessen, die ausschlaggebend sind, ob ein Teig eher weich oder fest ist, ob er schnell zerfließt oder auch ohne Backform gut als Brot zusammenhält. Auch Enzymwerte können hier gemessen werden und in sog. Mini-Backversuchen werden erste Erkenntnisse darüber gewonnen, wie sich der Teig beim Backen entwickelt. Geht er gut auf? Hat er eher große oder kleine Poren? Bleiben die Brötchen beim Backen rund oder zerfließen sie? All diese Informationen sind von großem Wert, wenn es darum geht zu beurteilen, ob eine Linie als zukünftige, qualitativ hochwertige Getreidesorte in Frage kommt.
Weiter geht es am nächsten Tag mit Miriam Kamp in den Lupinen. Sie arbeitet an ökologischen Lupinensorten, die einen guten, regionalen und bodenverträglichen Nahrungsersatz für Soja bieten. Sie werde von Ökolandwirt*innen oft gefragt, welche Sorte denn für den Anbau zu empfehlen sei, sagt Miriam. Noch würden aber die meisten Sorten stark unter Krankheitsanfälligkeit und Schädlingsbefall leiden. Umso wichtiger, dass an Alternativen für den ökologischen Landbau gearbeitet wird, die nicht auf künstliche Dünge- und Pflanzenschutzmittel angewiesen sind. Wir schauen uns gemeinsam an, wo der besonders gravierende Blattlausbefall die Pflanzen am meisten geschädigt hat, und finden zu unserer Freude einige Marienkäferlarven, denen die Blattläuse ganz besonders gut schmecken. Mit Hilfe des sog. Dragendorff-Reagenz-Tests prüfen wir, ob sich bei einigen Lupinen durch ungewollte Kreuzung ein zu hoher Alkaloidwert gebildet hat. Diese kommen dann für die Ernährung nicht mehr in Frage.
Der letzte Tag führt mich zusammen mit dem Team der GZPK nach Rheinau. Auch hier steht ein großer Zuchtgarten mit einer Vielzahl an Parzellen. Die GZPK arbeitet mit vielen verschiedenen Betrieben zusammen, um die in Entwicklung befindlichen Sorten unter den verschiedensten Bedingungen zu prüfen. In Rheinau steht Rachel Müllers Züchtungsprojekt: Triticale. Eine noch sehr junge Getreideart (Kreuzung zwischen Hartweizen und Roggen), die momentan noch hauptsächlich als Futtermittel angebaut wird. Dies soll hier geändert werden. Gerade weil die Triticale noch so jung ist, ist sie von einigen Krankheiten der älteren Arten nicht betroffen. Ihre Vitalität, Anspruchslosigkeit und hohes Ertragspotential machen sie zu einer vielversprechenden Pflanze, die für die menschliche Ernährung von hohem Wert sein könnte.
Gemeinsam ernten wir wieder Sträuße. Und wieder bin ich beeindruckt von der Vielfalt, die mich umgibt: Weizen, Emmer, Dinkel, Triticale in so vielen Farben und Formen. Was für ein Schatz, der hier steht – ich werde ihn vermissen, wenn ich zuhause an den Weizenfeldern vorbeigehe, bei denen eine Ähre der anderen bis aufs Korn gleicht.





