Mensch und Kulturpflanze – ein gemeinsamer Entwicklungsweg. Aspekte ökologischer Züchtung
Am Samstag den 28. Januar 2023 trafen sich gut 120 Ökozüchter*innen, Gärtner*innen, Spender*innen und viele Interessierte zur Saatgut-Tagung der Zukunftsstiftung Landwirtschaft im Anthroposophischen Zentrum in Kassel.
Das Programm bot ein weites Themenspektrum. In Vorträgen und Arbeitsgruppen beleuchteten die Referenten viele Aspekte ökologischer und insbesondere biologisch-dynamischer Züchtungsansätze bei Getreide, Gemüse und Äpfeln. Zum einen wurde der gemeinsame Entwicklungsweg von Mensch und Kulturpflanze betrachtet, um zum anderen die gegenwärtigen Beziehungen zwischen Züchtern und Pflanzen aufzuzeigen sowie zukünftige Anforderungen an die biodynamische und ökologische Züchtung in Bezug auf die Erzeugung und Wege zu einer zukunftsgerichteten Ernährungsqualität zu diskutieren.
Impulse für weitere Schritte der Kulturpflanzenentwicklung
Ueli Hurter, Leiter der Landwirtschaftlichen Sektion am Goetheanum, blickte zurück auf die Entstehung und die Impulse des Landwirtschaftlichen Kurses vor fast 100 Jahren und ging auf das dort von Rudolf Steiner entworfene Bild der Kulturpflanze im Spannungsfeld zwischen Kosmos und Erde ebenso ein wie auf die Wirkung der Nahrung auf den Menschen. Nun gelte es, die Impulse von damals in eine nächste Phase und in eine zeitgemäße Inspiration für nächste Generationen und die Neuentwicklung entsprechender Pflanzen zu führen, betonte er.
Getreidezüchter Dr. Karl-Josef Müller, Cultivari Darzau, schilderte seine umfassende Herangehensweise an die Pflanzen: Er ließ das Publikum erleben, wie genau der Züchter seinen Blick für die vielfältigen und feinen Unterschiede der Phänomene schulen muss und wie zeitaufwändig der Prozess der Beurteilung der Pflanzen, der Auswahl und schließlich der Weg der Züchtung zu einer neuen Sorte ist. Es gebe eine große Vielzahl von Aspekten zu berücksichtigen, um die verschiedensten Anforderungen zu erfüllen.
Im Dialog mit der Pflanze
Die Verbindung und den Dialog mit den Pflanzen in der züchterischen Praxis nahm Christina Henatsch, Kultursaat e.V. in den Blick. Mit großer Offenheit und ungewöhnlichen Methoden, wie Eurythmie oder Meditation, tastet sich die erfahrene Gemüsezüchterin in ihrer Arbeit an eine „Züchtung aus der Zukunft“ heran, die den Notwendigkeiten einer zeitgemäßen Ernährung und der sich verändernden Konstitution gegenwärtiger und künftiger Generationen gerecht werden soll.
Spannend war es auch mit Apfelzüchter Nikolaus Bolliger von poma cultura aus der Schweiz, die Jahrtausende alte Geschichte des Apfels von der Wildform zum Kulturobst zu verfolgen und dessen zum Teil geheimnisvolle Entwicklung durch die Epochen der Menschheitsgeschichte.
In sechs Arbeitsgruppen widmeten sich am Nachmittag Züchterinnen und Züchter gemeinsam mit den Teilnehmern intensiv Fragestellungen und Themen der biologisch-dynamischen Pflanzenzüchtung: Unter anderem wurde den Fragen nachgegangen, ob angesichts der modernen Züchtungstechniken in der Getreidezüchtung ein Neubeginn mit Wildformen sinnvoll ist oder wie Züchter*innen mit den Pflanzen in Beziehung treten können.
Züchtung aus der Zukunft
Im abschließenden Vortrag „Die neue Kulturpflanze entsteht im Herzen des Züchters“ schlug Martin von Mackensen Landwirt und Züchter auf dem Dottenfelderhof den großen Bogen und formulierte die Quintessenz der Tagung, indem er die Aspekte Wissen, Initiative, Gelassenheit, Positivität und permanente Offenheit in Beziehung setzte. Er beschrieb diese Eigenschaften als Werkzeuge des Züchters und als wichtige Voraussetzungen für eine Züchtung aus der Zukunft.
Oliver Willig von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, der die Tagung moderierte, freute sich über das weiterhin große Interesse an der ökologischen Züchtung. Er dankte allen Unterstützer*innen, betonte aber gleichzeitig, dass die ökologische und biodynamische Züchtung - sei es beim Getreide, Gemüse oder Obst - regelmäßig unterfinanziert sei. Deshalb sei es Aufgabe der Zukunftsstiftung Landwirtschaft auch weiterhin, Mittel für die zukünftige Weiterentwicklung der ökologischen Züchtung einzuwerben und den Züchtungsinitiativen für ihre innovative Arbeit zur Verfügung zu stellen.
Eine umfangreiche Dokumentation zur Tagung kann ab Mitte April bei der Zukunftsstiftung Landwirtschaft bestellt werden.